EMDR in der stationären Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Fokus des Fachtags
Am 12.03.2025 fand der erste Fachtag der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Gezeiten Haus Schloss Eichholz mit über 35 geladenen Gästen statt.
Unter dem Titel „EMDR in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen" stellte die Fortbildung die Behandlungsmethode EMDR in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt. In drei Fachvorträgen gingen die Referent:innen der Frage nach, wie sich EMDR effektiv und gezielt anwendenen lässt – mit Blick auf die innere Perspektive der jungen Patient:innen und auch hinsichtlich dessen Umfelds.
EMDR in der Kinder- und Jugendpsychiatrie: Möglichkeiten und praktische Ansätze von EMDR im stationären Kontext
„EMDR lässt traumatisierte Patient:innen verstehen: Es ist vorbei. Heute bin ich in Sicherheit. So können die Patient:innen nicht nur sagen „Der Glaubenssatz hört sich gut an“ sondern sie können es auch fühlen.“
Nach einer feierlichen Begrüßung durch die Chefärztinnen Dr. med. Leonie Drees und Angelika Rieck, eröffnet Julia Theeg den Fachtag mit ihrem Vortrag über die Möglichkeiten und praktischen Ansätze des Einsatzes von EMDR in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin nutzt den Beginn ihres Vortrags, um zunächst noch einmal zu definieren, was genau ein Trauma ist und betont, dass es für Kinder und Jugendliche besonders schwer ist, mit belastenden Situationen umzugehen. Ihnen fehlen hierzu noch die Ressourcen und Bewältigungsstrategien, die sich Erwachsene im Laufe ihres Lebens meist angeeignet haben.
Gefühle wieder spürbar machen mit EMDR
Trauma bedeutet, das Erlebte fühlt sich für die Betroffenen nicht vorbei an, obwohl es schon längst vorbei ist, erklärt Julia Theeg. „Die Patient:innen leiden häufig noch lange über das traumatisierende Erlebnis hinaus unter Gefühlen von Ohnmacht, Kontrollverlust und drohender Vernichtung. Und das zeigt sich dann in vielen verschiedenen Störungsbildern.“ Aus diesem Grund verhalten sich traumatisierte Kinder und Jugendliche immer entsprechend ihrer „inneren Landkarte.“, also den Erfahrungen, die sie bisher gemacht haben, und reinszenieren so unbewusst das traumatische Erlebnis immer wieder in unterschiedlicher Form. Dieses traumabezogene Verhalten zeigt sich dabei in einem „zu viel.“ oder einem „zu wenig.“ an Emotionen. Ein Beispiel für ein solches „zu wenig“ kann etwa die Fragmentierung der Erinnerung sein, hier mussten Kinder und Jugendliche Teile ihrer Erinnerung vergessen, um zu überleben.
„Mit EMDR können wir so mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, dass sie ein anderes Gefühl zu sich selber und ihren Mitmenschen entwickeln.“ Durch die Arbeit mit der bilateralen Stimulation soll es den Betroffenen möglich werden, ihre Gefühle wieder spürbar zu machen und so auch differenzieren zu können, was aktuelle Gefühle sind und wo sich alte Gefühle in die Situation mischen. Um die Kinder und Jugendlichen dabei bestmöglich zu unterstützen, ist es nach Julia Theeg extrem wichtig, dass die EMDR-Therapeut:innen eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Patient:innen aufbauen, damit diese sich im Therapiesetting sicher fühlen können und sich auch wirklich auf die Therapie einlassen.
Der „richtige“ Zeitpunkt: Fallplanung und Indikationsstellung von Traumaexposition mit EMDR
Zu Beginn ihres zweiten Vortrags geht Julia Theeg auf die Rolle des familiären Systems und die Wahrnehmung von Kindern bezogen auf ihre Bindungspersonen ein. Kinder gehen grundsätzlich davon aus, dass sie geschützt werden, erklärt sie. Erleben sie jedoch das Gegenteil, müssen diese Erfahrungen aufgearbeitet werden. Das kann beispielsweise im Rahmen der EMDR-Arbeit gelingen. Entwickeln Patient:innen neue, positive Glaubenssätze wie „Ich bin wichtig“ oder „Ich bin wertvoll“, ist es essenziell, dass sie diese Erfahrungen auch zu Hause machen und leben können.
Damit das gelingen kann, darf es keinen Täterkontakt geben, betont Julia Theeg. „Kindern, die Traumatisierung in Bezug auf Bindungspersonen erlebt haben, muss es möglich sein, alle emotionalen Kanäle abarbeiten zu können. Auch die Wut auf die Eltern, die nichts getan haben. Das geht nicht im Täterumfeld.“
Systemischer Blick ist wichtig
Was im therapeutischen Verlauf außerdem wichtig ist, ist zu beurteilen was die Sorgeberechtigten mit der/dem Therapeut:in gemeinsam erlernen können, damit neue, gesündere Strukturen entstehen können. Was brauchen die Sorgeberechtigten konkret, die das Kind begleiten? Ein systemischer Ansatz sei deswegen unabdingbar für die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. „Ein systemischer Blick ist wichtig, damit die Familie heile durch die Zeit kommt und nicht weitere Traumatisierungen passieren.“, erklärt sie. Ein gutes traumpädagogisches Verständnis für das Umfeld kann hier weiter unterstützend sein, um die Neutralität zu bewahren und nicht in den Traumastrudel zu geraten,
Gerade bei Bindungstraumata im familiären Kontext sollte sich zusätzlich die Frage gestellt werden, inwiefern die Zusammenarbeit mit Schulen, Jugend- und Familienhilfen oder Ärzten notwendig wird. Die Expertise von Pädagoginnen aller Art ist in ihren Augen nach wie vor unersetzbar. Ihre kindnahe Arbeit und ein genauer Blick sei besonders wertvoll, um ein gutes Gesamtbild der Situation zu bekommen. Sie selber macht durchweg positive Erfahrungen in der Zusammenarbeit.

Prioritäten setzen bei der Fallplanung
Bei der Fallplanung bei Kindern und Jugendlichen stellt sich die Frage, ob man in der Therapie wirklich in der Vergangenheit ansetzen sollte oder ob es nicht eher sinnvoller ist, im Alltag der betroffenen Jugendlichen zu arbeiten. Es ist wichtig, belastendes Material zu strukturieren, Symptome und Ereignisse zu überprüfen und relevante Erinnerungen auszuwählen, um die Kernerinnerung zu identifizieren. Dabei gilt es, herauszufinden, was genau den Patienten instabil gemacht hat. Viele Betroffene bringen eine lange Traumageschichte mit, was die Therapie herausfordernd macht.
Die Behandlungsprioritäten sollten vordergründig auf die Beeinträchtigung der Entwicklung und die Belastungen im Alltagserleben fokussiert werden. Besonders bei Jugendlichen ist es nicht selten, dass sie sich selbst aufgrund vergangener Traumata schädigen. In solchen Fällen kann Schutz und Abgrenzung wichtiger sein als das direkte Aufarbeiten des Traumas, erklärt Julia Theeg. Hilfreiche Fragen zur Beurteilung können sein: Durch welche Symptome wird die Entwicklung des Kindes eingeschränkt? Welche Entwicklungsschritte können nicht umgesetzt werden aufgrund der Traumatisierung? Welche Symptome stören am meisten das alltägliche Leben (Schule, Beziehung zu Freunden, Bindung)?
EMDR bei Kindern und Jugendlichen - kreativ und lege artis
„Wir sind alle kreative Wesen – manchmal muss die Kreativität nur ein bisschen angestupst werden.“ Dr. Daniela Lempertz verdeutlichte direkt zu Beginn ihres Vortrags die Wichtigkeit kreativer Herangehensweisen in der Therapie mit Kindern und Jugendlichen: „Dinge sollten fühlbar und sichtbar gemacht werden. Kreativität im Einzelsetting ist möglich, wenn wir sie zulassen.“ Ob positive Kognition, Mutmach-Sätze oder Krafttiere: Jungen Patient:innen empfiehlt sie kleinere Aufgaben mit an die Hand zu geben um Ressourcen bewusster im Alltag zu entdecken.
Wichtig ist ihr im Therapiealltag vor allem der direkte Kontakt von Mensch zu Mensch. „Das, was die Kinder manchmal wollen, ist ganz was anderes als das, was die Erwachsenen wollen.“ Das erlebt sie immer wieder im Patientenkontext. „Was möchte das Kind? Was möchten die Eltern? Das können völlig unterschiedliche Aufträge sein.“ Wichtig sei hier ein differenzierter Perspektivwechsel, um zu erfahren, was Kinder und Jugendliche eigentlich wahrnehmen und für sich als Problem einstufen.

Kindgerechte Sprache in der Psychoedukation
Kinder, die aufgrund einer Traumatisierung von posttraumatischem Stress betroffen sind, sind oft in einem Angstschaltkreis gefangen. Das beeinflusst zum einem die Ausreifung ihres präfrontalen Kortex und stört auch die Verbindung zur Amygdala und somit den gesamten Gedächtnisprozess. „Stress macht für den Moment etwas blöd.“, beschreibt Daniela Lempertz süffisant, trifft dabei den Kern der eigentlichen Ursachen für Konzentrationsprobleme in der Schule oder im Alltag genau auf den Punkt.
Wo Erwachsene Patient:innen aufgrund ihrer Reife und Lebenserfahrung in der Lage sind, körperliche Vorgänge einfacher nachzuvollziehen oder Defizite klarer zu verbalisieren, bedarf es bei Kindern eine deutlich feinfühligere, kreativere und auch individuellere Herangehensweise.
Eine alters- und entwicklungsangepasste Psychoedukation ist daher unabdingbar, um Kindern körperlich-seelische Vorgänge verständlich und neutral nahezubringen und über ihre Gefühle aufzuklären. Die Psychoedukation dient allerdings nicht nur der Aufklärung, sondern ist gerade für den Aufbau der Patientenbeziehung essentiell: Je jünger die Kinder sind, desto mehr Zeit benötigen diese, um Vertrauen zu fassen und nach und nach Zugang zu ihrem Erleben zu bekommen. Dazu trägt auch eine bewusste Wohlfühlatmosphäre in der Praxis bei.
EMDR und Traumatherapie kreativ nutzen
Daniela Lempertz gibt den Teilnehmer:innen viele Anregungen für den kreativen Einsatz von EMDR mit. So können auch unkonventionelle Ideen integriert werden – je nach dem welche Stimulationstechniken für das jeweilige Kind und dessen Individualität am stimmigsten erscheint. Anhand eines Fallbeispiels erläutert sie den Teilnehmenden ein mögliches Vorgehen, dass über die klassischen Stimulationstechniken von EMDR hinaus geht. So nutzte sie die bereits bestehende Kreativität einer Patient:in und integrierte Stift und Papier zur Einstufung des Erlebten in die Sitzungen.

Integration der EMDR-Behandlung in unserer Klinik
Die Arbeit mit EMDR ist gerade in der stationären Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eine wichtige Methode, um mit traumatisierenden Erfahrungen zu arbeiten. Wie EMDR in unserer Klinik angewendet wird, erklärt Lia Humer, Leitende Psychologin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, in ihrem Vortrag.
Nach einer Vorstellung des Teams aus Fachärzt:innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen und pädagogischen Fach- und Pflegekräften, gibt Lia Humer den Anwesenden zunächst einen generellen Einblick in die stationäre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 21 Jahren in unserer Klinik. Hierbei wird neben weiteren Therapieformen wie z. B. der Verhaltenstherapie oder der Systemischen Therapie auch die EMDR-Therapie regelmäßig angewendet. Dabei ist es Lia Humer allerdings wichtig, dass EMDR hier nicht pauschal bei allen Patient:innen zum Einsatz kommt, sondern immer dann, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen und gewisse Voraussetzungen erfüllt sind.
Der Einsatz von EMDR in unserer Klinik
Wichtig bei der Arbeit mit EMDR ist beispielsweise, dass die Patient:innen genug Stabilität haben und sich die Arbeit mit den belastenden Erinnerungen zutrauen. Das gilt sowohl für die Arbeit in den EMDR-Sitzungen selbst als auch für die Zeit danach, wenn die Sitzungen noch nachwirken können. Des Weiteren ist auch die Abgeschlossenheit der Situation sehr wichtig: Wenn die Kinder und Jugendlichen hier aufgrund der äußeren Umstände noch immer regelmäßig in die belastende Situation zurückkehren müssen, wird die Arbeit mit diesen Erfahrungen zur Sicherheit zurückgestellt, um die jungen Patient:innen zunächst einmal zu stabilisieren.
Stimmen die Rahmenbedingungen für eine EMDR-Therapie, gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie mit den traumatisierenden Erfahrungen gearbeitet werden kann, erklärt Lia Humer: „Grundsätzlich kann man mit den Erinnerungen an die belastende Situation arbeiten. Man kann bei EMDR allerdings auch mit Alltagstriggern in der Gegenwart arbeiten, wo zum Beispiel in stressigen Situationen alte Gefühle hochkommen, oder mit Sorgen und Ängsten in Bezug auf die Zukunft, also sogenannte Zukunftsprojektionen.” Welche dieser Formen für die Patient:innen die Passendste ist, wird immer individuell entschieden, sodass unsere EMDR-Therapeut:innen die Kinder und Jugendlichen optimal begleiten können.
Save the date | 16.05.2025
Der nächste Fachtag findet in der Gezeiten Haus Klinik Schloss Eichholz in Wesseling am 16.05.2025 statt. Der Fokus wird der therapeutischen Arbeit mit Systemen liegen. Alle Abonennt:innen unseres Newsletters für Einweiser erhalten die Einladung in den nächsten Wochen exklusiv.