KI, Klimakrise und die Auswirkungen auf die seelische Gesundheit im Fokus des Fachtags 2024
Am 13.11.2024 fand der Fachtag „Seelische Gesundheit in Zeiten des Wandels" im Gezeiten Haus Bonn mit über 70 geladenen Gästen statt.
Unter dem Titel „Seelische Gesundheit in Zeiten des Wandels" widmete sich der Fachtag in Bonn den Auswirkungen der immer schneller werdenden Digitalisierung auf die psychische Gesundheit. In drei Fachvorträgen gingen die Referenten der Frage nach, wie sich aufsteigende Verunsicherung und Ängste hinsichtlich künstlicher Intelligenz und der Klimakrise im therapeutischen Kontext einordnen lassen können und welche möglichen Perspektiven sich daraus ergeben.
Besondere Eröffnung im Rahmen des Jubiläums
Zum diesjährigen Fachtag konnten wir über 70 geladene Gäste im Gezeiten Haus Bonn begrüßen, um mit ihnen gemeinsam mehr über den aktuellen Stand zu den Auswirkungen von KI und der Klimakrise auf die psychische Gesundheit zu erfahren. Feierlich eröffnet wurde der Fachtag von Dr. André Kümmel, Leitender Oberarzt der Gezeiten Haus Klinik Bonn, und der Gründerfamilie Nelting, die das Grußwort an unsere Frau Bürgermeisterin Nicole Unterseh übergaben:
„Mit Veranstaltungen, Publikationen und Vorträgen helfen Sie über Krankheiten wie Burnout, Depressionen und weiteren Stressfolgeerkrankungen aufzuklären und diese damit zu enttabuisieren…Ich bin sicher, dass Sie auch zukünftig vielen Menschen helfen werden.“
Mit dem Fachtag 2024 wurde ein Themenfeld beleuchtet, das auch in Zukunft immer essentieller auf uns Menschen einwirken wirkt. Die Teilnehmer:innen erlebten ein breites Spektrum an interessanten Denkansätzen, leckeren Köstlichkeiten und genügend Zeit zum Reflektieren und Netzwerken.

Psychotherapie und Traditionelle Chinesische Medizin in einer unsicherer werdenden Welt | Fritjof Nelting
„Wie schaffen wir es, obwohl ganz viel im Außen passiert, obwohl die Welt sich sehr sehr schnell bewegt, in die Ruhe zu kommen, um für alle Menschen eine passende Reaktion auf das, was da draußen ist, zu geben?"
Mit dieser Eingangsfrage eröffnete Fritjof Nelting, Geschäftsführer der Gezeiten Haus Holding, Coach & Gründer von befreitlehren, den Fachtag 2024, der dieses Jahr aufgrund des 20-jährigen Bestehens der Klinik unter ganz besonderem Motto stand. Als Befürworter der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ist er besonders froh darüber, dass Qi Gong mittlerweile in die Depressionsleitlinien in der Behandlung mit aufgenommen wurde. Er sieht sich auch weiter in der Verantwortung die westliche Welt mit der chinesischen Welt zu verbinden und erläutert wieso dieser Ansatz seit Bestehen der Kliniken auch weiterhin erfolgreich verfolgt wird.
Stress beginnt schon vor der Geburt
Gerade hinsichtlich der immer schneller werdenden Umwelt bietet die TCM wunderbare Ansätze um wieder zu Entspannung und innerer Klarheit zu finden. „Wir atmen ein, wir atmen aus – aber wir nehmen es kaum mehr war in dieser schnelllebigen Welt“ betont er. Das erschöpft und überfordert die Menschen, was sich letztendlich auch in der klinischen Diagnostik zeigt. Am Beispiel des Nierenqui erklärt Fritjof Nelting, die Sichtweise der TCM auf Über- und Unterlastung und die Bedeutung von körperlichen Symptomen. Besonders spannend dabei ist die eigentliche Entwicklungsgeschichte des menschlichen Stresssystems. Denn bereits vor der Geburt wirkt sich die Gesundheit der Mutter auf die zukünftige Stressresilienz des Kindes aus.
Die TCM kennt keine Kränkung
„Man kann auch sehr gut mit weniger Nieren-Qi leben - aber ich habe sozusagen weniger Guthaben.“ Die TCM als regulierendes System kann hier sehr gut ansetzen ohne die Einordnung in krank beziehungsweise nicht krank. Das begünstigt auch die Sichtweise von Patient:innen auf ihr Leiden und das Verständnis dafür eine gesunde Balance hinsichtlich vieler Dinge für sich zu finden.
An diesen Punkt knüpfte der Klinikgründer Dr. med. Manfred Nelting, zum Ende des Vortrags an. Mit über 35 Jahren als praktizierender Psychosomatiker hat er sich in den letzten Jahren vorallem mit dem Feld der Epigenetik beschäftigt und zahlreiche Bücher veröffentlicht. Manfred Nelting ist es besonders wichtig zu betonen, dass nicht jede Angst immer "neurotisch" ist. Wir haben die Möglichkeiten Ängste neu zu betrachten und zu differenzieren.

Klima-Angst und die Erfahrung der Verbundenheit | Dr. Geseko von Lüpke
Immer mehr Menschen leiden unter Klima-Angst, der Angst vor dem Verlust der Welt, die sie kennen. Wie sich diese Angst gesellschaftlich zeigt und welche Lösungsansätze es hierfür geben kann, erklärt Dr. Geseko von Lüpke, Journalist, Buchautor und Redakteur, in seinem Vortrag.
„Die Klima-Angst ist längst kein vereinzeltes Phänomen mehr, sondern ein gesellschaftlicher Zustand, der dafür, dass er so weit verbreitet ist, erschreckend wenig thematisiert wird.”, leitet Geseko von Lüpke seinen Vortrag ein. Das zeigt sich zum Beispiel dadurch, dass bisher noch wenige Patient:innen mit diesem Anliegen therapeutisch behandelt werden, obwohl aktuelle Statistiken zeigen, dass der Großteil der Gesellschaft unter einer Klima-Angst leidet. Ihm ist es deshalb wichtig, dass wir als Gesellschaft, aber auch im therapeutischen Kontext, neue Ansätze für dieses Problem finden, die Mut machen und Veränderung bewirken.
Die kollektive Verdrängung und ihre Folgen
Auch wenn die Klima-Angst so weit verbreitet ist, ist sie für die meisten von uns schwer greifbar, da die Folgen des Klimawandels nicht immer unmittelbar zu erkennen sind. Hinzukommt, dass die Klimakrise in den letzten Jahren durch diverse andere Krisen in der Welt überlagert worden ist, wodurch sich viele von ihr abgewandt haben. Ihre Dringlichkeit besteht aber nach wie vor und diese subtile Angst arbeitet in den Menschen weiter. Es kommt zu einer kollektiven Verdrängung, die damit das eigentliche Problem darstellt: Die Verdrängung kostet uns extrem viel Kraft und macht uns im schlimmsten Fall sogar krank. „Es ist, als würden wir die Hand auf die Herdplatte legen, wir sehen wie der Rauch aufsteigt, aber wir ziehen die Hand nicht weg, weil wir den Schmerz unterbrochen haben. Wir reagieren nicht, wie wir reagieren sollten.”, erklärt Geseko von Lüpke.
Veränderung durch Erfahrungen des Miteinanders
Nur wenn wir also die Angst zulassen und ins Fühlen kommen, können wir uns auch auf den Weg der Gesundung machen und wirkliche Veränderung bewirken. Dazu ist für Geseko von Lüpke ein Weltbild-Wandel nötig: Wir sollten uns von einer “Um-Welt hin zu einer Mit-Welt” entwickeln, die uns Verbundenheit und als Teil eines Netzwerks fühlen lässt, anstatt nur intellektuelle Lösungen anzubieten. Das ist zum Beispiel durch lokale Angebote zum Austausch möglich, wie etwa in Schulen oder anderen Institutionen. Doch auch die therapeutische Szene trägt hierbei eine große Rolle: Indem Therapeut:innen sich selbst mit ihrer Klima-Angst beschäftigen, können sie nicht nur besser für ihre Patient:innen da sein, sondern auch Vorreiter:innen sein und dazu ermutigen, die eigenen Ängste zuzulassen und zu transformieren. Mit diesem Schlusswort bestärkt von Lüpke die Zuhörer:innen und ermöglicht einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft.

Smartphone, Social Media, Videospiele und KI: Auswirkungen digitaler Produkte auf die psychische Gesundheit | Prof. Dr. med. Joachim Bauer
Die Auswirkungen digitaler Produkte wie Smartphone, Social Media, Videospiele und Künstliche Intelligenz (KI) auf die psychische Gesundheit erläuterte Prof. Dr. med. Joachim Bauer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Neurowissenschaftler, Internist und Autor.
Nach einer anschaulichen Einleitung von Ulf Bernhard Krause, Leitender Oberarzt der Gezeiten Haus Klinik Bonn, eröffnete Bauer seinen Vortrag, mit der Bedeutsamkeit des Verständnisses für die Auswirkungen der unumkehrbaren Digitalisierung auf den Menschen. Er legte hierbei besonders Wert auf die Bewusstmachung der offensichtlichen Veränderungen unseres Lebens durch digitale Produkte und wies auf den zunehmenden Ersatz der analogen Wirklichkeit durch die digitale Kommunikation und die virtuellen Erlebnisräume hin, welche nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder, Jugendliche und bereits Babys in ihrer Entwicklung und ihrem alltäglichen Leben beeinflussen. „Allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei – Dosis sola facit venenum.“, zitierte Joachim Bauer Paracelsus und machte darauf aufmerksam, dass die Bildschirmzeiten bei Jugendlichen stetig zunehmen.
KI auf neuronaler Ebene
Anhand eines Fallbeispiels - ein Jugendlicher, der einen Chatbot als Beziehungs- beziehungsweise Partnerersatz angesehen hat - beschrieb er auf neuronaler Ebene die Suchtgefahr von digitalen Produkten. Ein großer Faktor hierbei: Die Aktivierung des neuronalen Motivations- und Belohnungssystems, welches jedoch die „natürlichen“ Einflussfaktoren, wie Sport, Zuwendung und guten zwischenmenschlichen Beziehungen, welche eigentlich zur Ausschüttung von körpereigenen Botenstoffen führen, negativ beeinflussen. Digitale Produkte lösen daher ein falsches Versprechen aus, da die vom Gehirn benötigte neuronale Resonanz von analogen zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialer Verbundenheit ausbleibt.
Zudem betonte Joachim Bauer, dass gerade in der Adoleszenz die digitale Produktpalette einen enormen Einfluss auf die Entwicklung hat, da beispielsweise die Nutzung eines Smartphones das Ende der ungeteilten Aufmerksamkeit bedeutet und die Erwachsenen-Kind-Interaktion tangiert wird. Digitale Angebote begünstigen zudem die Entstehung von Depressionen, da es aufgrund der „Fear of missing out“ zu einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes von der analogen in die digitale Welt kommt.
Chancen und Risiken von KI
Künstliche Intelligenz erklärt Bauer metaphorisch als eine „digitale Lasagne“ und brachte den Teilnehmer:innen die Funktionsweise der Rechenmaschinen nahe. Er wies auf den positiven Nutzen von KI als Datenspeicher in beispielsweise der Medizin und der Verwaltung hin, brachte aber auch vor, dass Künstliche Intelligenz Fehler macht und auf digital transformiertes Material beschränkt ist, da sie keinen emotionalen und sozialen Zugang zur Welt hat.
KI kann menschliches Handeln, wie Sprache und Intelligenz bisher nur simulieren, jedoch die eigentlichen Eigenschaften nicht besitzen, da es sich um Maschinen handelt. Das Versprechen von mehr Bequemlichkeit durch KI im Leben eines jeden Menschen, kann dazu führen, dass immer mehr Menschen Text- und Sprach-KIs verwenden und sich beispielsweise Zusammenfassungen von ihr schreiben lassen. Er merkte abschließend kritisch an, dass dadurch der Aufbau an eigens erlebten Erfahrungen zurück geht, sodass am Ende des Vortrags die Frage bleibt: Wer kontrolliert in Zukunft die KI, wenn der selbstständige Erfahrungshintergrund zurückgeht?
Save the date | 12.03.2025
Der nächste Fachtag findet in der Gezeiten Haus Klinik Bonn am 12.03.2024 statt. Der Fokus wird auf dem Einsatz von EMDR in der stationären Behandlung von Kindern und Jugendlichen liegen. Alle Abonennt:innen unseres Newsletters für Einweiser erhalten die Einladung exklusiv.