Zwischen Berufung und Belastung: Burnout bei Ärzt:innen
Mediziner:innen sind in ihrem Beruf mit einzigartigen Herausforderungen konfrontiert. Burn-out ist daher keine seltene Zusatzdiagnose. Wann die Notbremse gezogen werden sollte und welche Therapieformen besonders bei Stressfolgeerkrankungen helfen, nachhaltig psychisch gesund zu werden, beleuchten wir in diesem Artikel.
16.01.2024
LESEZEIT: 10 MINUTEN
KATEGORIE: PSYCHISCHE GESUNDHEIT, BURNOUT
AUTOREN: Dr. med. Clemens Boehle und Mareike Penderock
Epidemiologie von Burnout bei Ärzt:innen
Burnout und Stress unter Ärzt:inne: Der Berufsgruppe der Mediziner:innen werden oft Eigenschaften wie mentale Stärke und eine hohe Belastungsgrenze zugeschrieben. Dabei sind sie selbst nicht immun gegen mentale Belastungen. Oft kämpfen sie selbst gegen die unsichtbare Last aus Stress, innerem Druck und privatem mental Load. So verbirgt sich hinter dem professionellen Auftreten nicht selten eine Realität, in der emotionale Erschöpfung, mangelnde Resilienz und moralische Konflikte die betroffenen Mediziner:innen belastet.
Chronischer Stress im Job führt unabhängig der Berufswahl zu vielschichtigen Symptomen. Die Berufsgruppe der Ärzt:innen ist jedoch speziellen Risikofaktoren ausgesetzt: So führen dauerhafte Schichtdienste gehäuft zu Schlafstörungen, massive Überstunden und personelle Engpässe lösen Erschöpfung und Konzentrationsschwierigkeiten aus und der vereinfachte Zugang zu Medikamenten kann das Risiko eines Medikamentenmissbrauchs erhöhen.
Laut einer Umfrage des Marburger Bundes ist Burnout ein weitverbreitetes Problem unter Ärzt:innen. Rund 59 Prozent der befragten Ärzt:innen gaben an, dass sie häufig bis ständig unter Überlastung leiden. Zusätzlich fühlen sich 74 Prozent von ihnen durch die Gestaltung ihrer Arbeitszeiten in ihrer Gesundheit beeinträchtigt. Sogar 15 Prozent der Ärzt:innen gaben an, aufgrund ihrer beruflichen Belastung bereits eine so starke psychische Beanspruchung zu erleben, dass sie sich in ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung begeben mussten.
Die Ursachen von Burnout bei Ärzt:innen sind dabei oft von mehreren Faktoren bedingt. Nicht nur die dauerhaft hohe Arbeitsbelastung wird von Mediziner:innen bemängelt, sondern auch die generellen Arbeitsanforderungen und der geringe Einfluss am Gesundheitssystem mitzuwirken bis zu unerfüllten individuellen Werten führen zu Frust und Stress. Stressfolgeerkrankungen wie das Burnout-Syndrom ist daher keine seltene Zusatzdiagnose in der Ärzteschaft. Auch wenn die gesellschaftliche Akzeptanz für psychische Erkrankungen in den letzten Jahren zugenommen hat, ist die Hürde für Ärzt:innen nach wievor höhergesteckt als in anderen Berufszweigen, wenn es um ihre eigenen psychischen Belange geht.
Hohe Anforderungen und wenig Work-Life
Bereits die Studien- und Ausbildungszeit ist für angehende Ärzt:innen von strengen Grundsätzen und viel Verantwortung geprägt. Gerade für Studierende der Medizin und angehende Assistenzärzt:innen kann das zu hohem persönlichen Druck und Überlastung führen. Wer sich also für den Berufswunsch Ärzt:in entschieden hat, den erwarten von Beginn an kontinuierliche Höchstleistung und ein gutes Eigenmanagement, denn Überstunden und nächtliche Dienste gehören zum festen Bestandteil des Arbeitslebens. Zusätzlich finden sie sich oft aufgrund von chronischem Personalmangels in Situationen wieder, in denen sie, anders als der Dienstplan es vorgibt, auf sich allein gestellt sind. Eine 60 Stunden Woche ist keine Seltenheit und auch 80 Stunden pro Woche gehören in Spitzenzeiten zur Alltagsrealität von Ärzt:innen und angehenden Ärzt:innen.
Trotz des anspruchsvollem Studiums sind es laut Studien aber nach wie vor vorallem erfahrene Ärzt:innen aus allen Bereichen, die Burnout gefährdet sind oder sich bereits in einer Stressfolgeerkrankung befinden. Besonders zu schaffen machten ihnen auf emotionaler Ebene, die Aufklärung ihrer Patienten über Rückfälle, die Angst, Fehler zu machen, Angehörigen den Tod eines Patient:innen mitzuteilen und das Miterleben langer Krankheitsprozesse. Die Entscheidungen, die sie treffen, können über Leben und Tod entscheiden. Diese hohe Verantwortung kann zu einem konstanten emotionalem Druck und Erschöpfung führen, insbesondere wenn die emotionale Belastung nicht mit angemessen Strategien bewältigt werden kann.
Bürokratische Hürden und Regularien
Im Gesundheitswesen ist die Bürokratie oft ein doppelschneidiges Schwert: Einerseits dient sie dazu, Standards zu setzen, die Qualität zu sichern und eine strukturierte Organisation zu gewährleisten. Andererseits kann sie jedoch zu einem schwerfälligen System führen, das den Fluss der Patient:innenversorgung behindert und Ressourcen verschwendet. Neben den Anforderungen im Arbeitsalltag kommen also zusätzlich auch die Regulierungen im Gesundheitswesen und die wachsende Einflussnahme von Versicherungen und Krankenkassen hinzu. Die Abnahme der Autonomie und die Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit in der Patient:innenversorgung und die steigende Bürokratie können weitere Frustration und Unzufriedenheit auslösen.
Dr. med. Clemens Boehle, Chefarzt im Gezeiten Haus Bonn und sein Team beobachten diese negative Entwicklung schon seit Jahren: „Wir merken, dass die zunehmende Kommerzialisierung der Gesundheitsbranche immer häufiger wesentliche Stressfaktoren mit sich bringt. Je nach Größe der Einrichtungen und Personalausstattung haben Ärzt:innen kaum noch Zeit für ihre Patient:innen, sondern werden von administrativen Aufgaben, Termin- und Kostendruck sowie Dokumentationsverpflichtungen zunehmend vereinnahmt. “
Charaktereigenschaften erhöhen Burnout-Risiko
Bei der Entstehung eines Burnout-Syndroms spielen auch die eigenen Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle. Einige Eigenschaften können das Risiko für ein Burnout erhöhen, während andere hingegen sogar wertvolle Schutzfaktoren darstellen können. In Heilberufen überproportional vertreten sind Menschen mit Charaktereigenschaften wie beispielsweise Idealismus, Perfektionismus oder eine hohe Gewissenhaftigkeit. Diese augenscheinlich positiven Werte können bei chronischer Belastung allerdings so weit ins Extreme überspringen, dass sie nicht mehr hilfreich, sondern zum Kern des inneren Konfliktes werden.
Häufige zu beobachtende Faktoren bei Burnout
- Perfektionismus: Personen mit einem starken Hang zum Perfektionismus setzen sich oft unrealistisch hohe Standards und haben Schwierigkeiten damit, Fehler zu akzeptieren. Dies kann zu einem ständigen Druck führen, der letztendlich zu Überlastung und Burnout beitragen kann.
- Verantwortungsbereitschaft: Menschen, die sich stark verantwortlich fühlen, neigen dazu, sich übermäßig für das Wohl anderer zu engagieren und ihre eigenen Bedürfnisse hintenanzustellen. Dies kann zu chronischem Stress führen, der ein Risikofaktor für Burnout ist.
- Grenzen setzen: Personen, die Schwierigkeiten haben, klare Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen, laufen Gefahr, sich ständig überfordert zu fühlen und nie wirklich abschalten zu können. Dies kann zu einem erhöhten Stressniveau führen und die Entwicklung von Burnout begünstigen.
- Konfliktmanagement: Menschen, die sich unwohl fühlen, wenn es zu Konflikten kommt, neigen dazu, Stress und Spannungen zu vermeiden, anstatt sie konstruktiv anzugehen. Dies kann zu einer Anhäufung von ungelösten Problemen führen, die letztendlich zu Burnout beitragen können.
Symptome von Burnout bei Ärzt:innen
Medizinische Fachkräfte sind aufgrund der beruflichen Besonderheiten speziellen Risikofaktoren ausgesetzt: So führen dauerhafte Schichtdienste gehäuft zu Schlafstörungen, massive Überstunden und personelle Engpässe lösen Erschöpfung und Konzentrationsschwierigkeiten aus und der vereinfachte Zugang zu Medikamenten kann das Risiko eines Medikamentenmissbrauchs erhöhen.
„Häufig ist die Überbelastungs-Spirale daran zu erkennen, dass die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt werden, kaum noch Zeit für nicht-berufliches bleibt und kompensatorisch immer mehr gearbeitet wird. Ärzt:innen werden zu Workaholics, zunächst mit immer größerem Engagement und dann mit immer größerer innerer, zum Teil zynischer, Distanzierung.", erklärt Dr. med. Clemens Boehle.
Erste Symptome der physischen und psychischen Erschöpfung sind häufig Schlafstörungen, ein zunehmend kreisendes Gedankenkarussell, Konzentrationsstörungen oder auch häufigere Infekte. Viele Ärzt:innen medikamentieren sich dann im ersten Schritt selbst, greifen zu Alkohol oder Medikamenten, und flüchten sich in zynische Distanzierung gegenüber der beruflichen Situation. Dr. med. Clemens Boehle rät: „Schon die ersten Anzeichen ernst nehmen und sich Hilfe organisieren. Schon einige Stunden Beratung, Coaching- oder Psychotherapie können wertvolle Impulse geben, um eine Weichenstellung mit einem anderen Umgang mit der Überforderungssituation anzustoßen."
Übergeordente Merkmale einer Burnout-Entwicklung
Aufgrund des hohen Engagements für ihre Patient:innen sind Ärzt:innen einem erhöhten Risiko ausgesetzt, ihre eigene Gesundheit zu vernachlässigen. Lange Arbeitszeiten, unregelmäßige Pausen und das eigene hohe Engagement tragen dazu bei, dass Ärzt:innen ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellen - oft seit Beginn der Studienzeit. Ärzt:innen sind dabei nach wie vor einem Stigma unterlegen, sich medizinische Hilfe zu suchen oder über ihre mentale Gesundheit zu sprechen. Diese Tabuisierung führt dann nicht selten in einen negativen Kreislauf und verzögert professionelle Unterstützung.
- Erschöpfung: Überwältigende Müdigkeit und Energiemangel, besonders nach der Schicht. Gefühle von Leere und innerer Erschöpfung.
- Distanzierung: Entfremdung von Patient:innen und Kolleg:innen. Zynismus und negative Einstellung gegenüber der Arbeit. Gefühl der Distanzierung von den eigenen beruflichen Aufgaben. Verminderte emotionale Resilienz und Empathie gegenüber Patient:innen.
- Reduzierte Leistungsfähigkeit: Nachlassende Professionalität und Effizienz in der Arbeit. Schwierigkeiten bei der Konzentration und Entscheidungsfindung.
- Veränderungen im Verhalten: Rückzug von sozialen Aktivitäten und soziale Isolation. Veränderungen im Schlafmuster. Verstärkter Gebrauch von Substanzen wie Alkohol oder Medikamenten. Verlust des Interesses an Aktivitäten, die zuvor Freude bereitet haben.
- Körperliche Symptome: Kopfschmerzen, Magenbeschwerden oder andere körperliche Beschwerden ohne organische Ursache. Häufige Erkältungen oder Infektionen aufgrund eines geschwächten Immunsystems.
- Negative Selbstwahrnehmung: Selbstzweifel und negative Gedanken über die eigene Kompetenz. Gefühl der Unzufriedenheit mit der beruflichen Entwicklung.
- Interaktionsprobleme: Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit im Team. Konflikte mit Kolleg:innen oder Vorgesetzten.
Psychische und körperliche Symptome
Chronischer Stress strapaziert das sympathische Nervensystem so massiv, dass die selbstregulierenden Fähigkeiten des Körpers immer mehr in den Hintergrund rücken. Die freigesetzten Stresshormone manifestieren sich dann zum Beispiel als ständige innere Übererregtheit oder äußern sich durch häufige Kopfschmerzen oder undefinierbare Rückenschmerzen.
Körperfunktionen, die eigentlich nur im Kampf und Fluchtmodus benötigt werden, sind im Burnout dauerhaft aktiv – das vegetative Nervensystem somit in ständiger Alarmbereitschaft. Wird die chronische Überlastung nicht erkannt, kommt es oft vor, dass Symptome wie Herzrhythmusstörungen oder Gastrointestinale Beschwerden missinterpretiert und irrtümlicherweise einer organischen Ursache zugeschrieben werden – selbst Ärzt:innen sind hier vor einer fehlerhaften Eigendiagnose nicht gefeit.
Psychische und körperliche Symptome:
vermehrte Infekte
Muskelverspannungen und Rückenschmerzen
Ein- und Durchschlafstörungen
Atembeschwerden oder Engegefühl in der Brust
Schwindel
Magen-Darm-Beschwerden
Kopfschmerzen
Tinnitus
sexuelle Dysfuktion
Schwitzen und/oder frieren
Unruhezustände
Bleiernde Müdigkeit
Neigung zum Weinen
Verbitterung
Zynismus und Gleichgültigkeit
Phasen eines Burnout
Burnout ist eine prozesshafte Entwicklung, in deren Verlauf sich das Stresssystem zu einem Hyperstress-System entwickelt. Bereits bei kleinsten Anforderungen setzt im Hyperstress-System eine Stressreaktion ein. Unverhältnismäßig viele Stresshormone werden ausgeschüttet. Das gestörte Stresssystem befindet sich im „Daueralarm“ (Angst, Verzweiflung, Kontrollverlust) oder führt letztendlich zum „Stillstand“ (Erschöpfung, Ohnmacht, Zusammenbruch). Bis aus einer anfänglichen Überlastung ein ernsthaftes Burnout entsteht können unter Umständen Jahre vergehen, in denen die Betroffenen typische Phasen durchlaufen.
Überaktivität & Gereiztheit
Zu Beginn eines Burnout manifestieren sich häufig Aggressivität und übermäßige Aktivität, mitunter sogar Hyperaktivität. Der Leidensdruck mag zu Beginn nicht dominant sein, jedoch führen der hohe Anspruch, alle Aufgaben perfekt zu erledigen, und der Wunsch überall präsent zu sein, dazu, dass Ärzt:innen ihre Kräfte bis an ihre Grenzen ausreizen. Oft geschieht dies, ohne dass sie sich dessen vollständig bewusst sind. Der innere Konflikt zwischen dem eigenen Anspruch und den realen Möglichkeiten kann zu einem schleichenden Stressaufbau führen.
Flucht & Rückzug
Nach der Phase intensiver Aktivität folgen meist Flucht und Rückzug. Ein Kompensationsversuch durch externe Ventile, beispielsweise sportliche Aktivitäten, wird unternommen. Da dies oft nicht den gewünschten Erfolg bringt, ziehen sie sich zunehmend zurück und meiden den Kontakt zu Patient:innen, Freund:innen und Familie. Der Verlust des Kontakts zu sich selbst und den eigenen Bedürfnissen, tritt in den Vordergrund. Psychologisch betrachtet ist Flucht eine adaptive Bewältigungsstrategie, um sich vor weiterem Stress zu schützen. Der Rückzug dient daher möglicherweise als Selbstschutzmechanismus, wenn die Anforderungen als überwältigend empfunden werden.
Isolation & Passivität
Die Leitsymptome der dritten Phase sind Isolation und Passivität. In dieser Phase wird Ärzt:innen oft erst bewusst, wie prekär ihre Situation ist. Das Gefühl der Lähmung und Unfähigkeit, den alltäglichen Aufgaben nachzugehen, weicht einer Depression. Diese Symptome deuten auf eine tiefe emotionale Erschöpfung hin. Die Isolation kann eine unterbewusste Schutzstrategie sein, um sich vor weiteren emotionalen Belastungen zu bewahren, während die Passivität ein Zeichen für die Erschöpfung der emotionalen Ressourcen ist.
12 Burnout-Phasen nach Herbert Freudenberger und Gail North
Das Modell der 12 Burnout-Phasen wurde erstmals 1970 vorgestellt und hat seitdem maßgeblich zur Erforschung des Burnout-Syndroms beigetragen. Das von Herbert Freudenberger und Gail North entwickelte zwölfphasige Modell skizziert einen möglichen Burnout-Verlauf mit charakteristischen Symptomen, die in verschiedenen Burnout-Stadien auftreten können. Die Reihenfolge oder Intensität der Phasen spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle.
Phase 1: Innerer Druck, sich zu beweisen.
Phase 2: Hohe Einsatzbereitschaft
Phase 3: Vernachlässigung eigener Bedürfnisse
Phase 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen
Phase 5: Umdeutung von Werten
Phase 6: Verleumdung der Probleme
Phase 7: Rückzug
Phase 8: Verhaltensänderung
Phase 9: Depersonalisation
Phase 10: Innere Leere
Phase 12: Depression
Resilienz und Prävention gegen Burnout bei Ärzt:innen
Menschen mit sozialen Berufen sind oft empathisch und mitfühlend. Auch wenn es gerade diese Stärke sind, die Vorteile in der Patientenbeziehung schaffen, um sich in die Probleme und Bedürfnisse ihrer Klienten oder Patienten einzufühlen, bergen diese auch ein gewisses Risiko – vorallem dann, wenn Zeit- und Verantwortungsdruck bereits zusätzlich den Arbeitsalltag bestimmen. Die speziellen Arbeitsanforderungen und der Anspruch an die eigene Kompetenz können dann gerade in sozialen Berufen dazu führen, dass die eigenen Bedürfnisse und Prioritäten zugunsten einer optimalen Versorgung der Patienten/Klienten vernachlässigt werden.
Doch gerade als Ärzt:in ist das Erkennen und Setzen eigener Grenzen essenziell, um den hohen Anforderungen in der Praxis langfristig auf gesunder Ebene begegnen zu können und eine angemessene Distanz zu Patient:innen zu wahren. Betroffene, die sich bereits in der Burnout-Spirale befinden versuchen jedoch ihre Ansprüche aufrechtzuerhalten, indem sie sich noch mehr aufbürden. Vermeintlich wird noch mehr geleistet, um die Verantwortung tragen zu können. Dieser Trugschluss, führt allerdings nur noch tiefer in den Teufelskreis, denn der Schlüssel zu einem gesunden Umgang mit Stress liegt nicht im "Mehr", sondern im "Weniger".
Grenzen erkennen und Ressourcen gezielt nutzen
Arbeiten Ärzt:innen kontinuierlich über ihrer persönlichen Belastungsgrenze, kann dies zu Frustration, Desillusionierung und einem Verlust an Arbeitsfreude führen. Wer jedoch erkannt hat, dass die bisherigen Strategien, den Stress in den Griff zu bekommen, langfristig eher schaden als dass sie die grundlegenden Problemen der Anforderungen angemessen begegnen, ist den wichtigsten Schritt bereits gegangen und kann sich nun mit nachhaltigen Strategien zum Stressabbau- und Resilienz vertraut machen.
Selbstreflexion spielt gerade zu Beginn des Veränderungsprozesses eine wichtige Rolle. Wer seine Belastungsgrenze, Stressoren und eigene innere Glaubenssätze erkennt und klar benennen kann, ist der Kernproblematik schon ein Stück näher gekommen. Durch das Erkennen der eigenen (endlichen) Belastbarkeit und das Setzen von Grenzen rückt der Fokus auf die Priorisierung der eigenen Gesundheit – auch zum Wohle der Patient:innen. Nun können neue Lösungsstrategien gesucht werden, die den Umgang mit Stressoren und ungünstigen Verhaltensmustern erleichtern. Selbstfürsorge und Stressmanagement sind hier die Schlüsselkomponenten zur Stärkung der eigenen Stressresilienz und zur Prävention einer Stressfolgeerkrankung.
Stress aktiv durch Achtsamkeit abbauen
Bei chronischer Arbeitsbelastung, wirkt vorallem der sogenannte „Disstress“ krankmachend und führt zu psychosomatischen Beschwerden. Dieser anhaltende Stress hebt unteranderem den Cortisolspiegel. Stresshormone werden größtenteils durch das sympathische Nervensystem gesteuert. Bei chronischem Stress ist dieses System aus der Balance geraten und kann sich nur noch schwer selbstständig regulieren. Viele Burnout Betroffene kennen das Gefühl einer flachen Atmung, hoher Herzfrequenz und schwitzigen oder kalten Händen, selbst ohne sich in einer aktuellen stressigen Situation zu befinden.
Um das vegetative Nervensystem zu unterstützen greifen Achtsamkeitsübungen bewusst genau hier an, denn sie aktivieren den Gegenspieler des Sympathikus - den Parasympatikus, der für Entspannung und Stressabbau verantwortlich ist. Selbst einfach zu erlernende Techniken haben in der Summe eine gute Wirkung, wenn sie täglich in die Arbeitsabläufe eingebaut werden. Folgende Achtsamkeitstechniken aus der Psychotherapiepraxis helfen dabei, angestauten Stress aus dem Körper zu lösen:
- Meditation
- Qi Gong und Yoga
- Körperreisen
- Progressive Muskelrelaxation
- Bewegung und Sport
- Selbstfürsorge durch gesunde Ernährung, regelmäßige und bewusste Pausen und einer gesunden Balance aus Spannung und Entspannung
Psychotherapie bei Burnout
Wenn sich die chronische Belastung bereits zu einem Burnout-Syndrom entwickelt hat, sollten betroffene Ärzt:innen professionelle therapeutische Unterstützung in Anspruch nehmen. Wissenschaftlich anerkannte Methoden wie die Verhaltenstherapie, tiefenpsychologische Verfahren oder Ansätze aus der systemischen Psychotherapie helfen dabei, negative Denkmuster und Verhaltensweisen bei Stressfolgeerkrankungen zu identifizieren und zu verändern. Der Fokus liegt auf der Entwicklung gesunder Bewältigungsstrategien und der Verbesserung des Problemlösungsverhaltens. Durch Techniken wie Entspannungsübungen, Atemübungen und Achtsamkeitstraining lernen Betroffene, Stress mental besser zu bewältigen und sich zu entspannen.
In einigen Fällen sind die negativen Strategien bereits so fest verankert, dass eine intensivere und ganzheitliche Psychotherapie in Form eines Klinikaufenthaltes notwendig ist, um dem Kern der inneren Antreiber in der Tiefe aufzuschlüsseln. Eine stationäre Behandlung ist also besonders für die Betroffenen angeraten, deren Leidensweg bereits längere Zeit anhält. Spätestens wenn die Schwere der Symptome und die Auswirkungen auf das berufliche und persönliche Leben so gravierend sind, dass eine ambulante Therapie nicht ausreichend erscheint.
Gezeiten Haus Bonn: Fachklinik für Burnout bei Ärzt:innen
Im Gezeiten Haus Bonn sind wir seit 20 Jahren auf die Behandlungen von Mediziner:innen mit Stressfolgeerkrankungen, Burnout und Depressionen spezialisiert. Wir verstehen psychische Erkrankungen bei Ärzt:innen nicht isoliert, sondern integrieren sie in ein ganzheitliches Therapieverständnis für Körper, Geist und Seele und berücksichtigen dabei auch den individuellen Berufs- und Lebenskontext.
In den Gezeiten Haus Kliniken setzen wir auf ein Therapiekonzept, indem Begegnungen, Beziehungen und Selbstfürsorge eine zentrale Rolle spielen. Dabei legen wir großen Wert darauf, den medizinischen Berufsstand nicht nur bei der Überwindung von Burnout zu unterstützen, sondern auch nachhaltige Strategien für die psychische Gesundheit von Ärzten zu entwickeln.
Wir unterstützen unsere Patient:innen dabei, psychische und psychosomatische Erkrankungen verstehen zu lernen, aufzuarbeiten und neue Lösungsstrategien im Umgang mit Stress zu verankern. Bei uns lernen Menschen (wider) auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten und gesunde Lebensgewohnheiten im Berufsalltag zu integrieren, um langfristige Lösungsstrategien im Umgang mit den Anforderungen des Gesundheitssystem zu entwickeln.
Fazit
Burnout bei Ärzt:innen ist kein seltenes Phänomen innerhalb der Ärzteschaft, sondern ein weitverbreitetes Problem, das durch eine Vielzahl von Faktoren wie hohe Arbeitsbelastung, strenge Berufsgrundsätze und auch durch das Hinzukommen bürokratischer Hürden entstehen kann. Die Berufsgruppe der Mediziner:innen ist durch diese hohen beruflichen, emotionalen und organisatorischen Anforderungen damit einem erhöhten Risiko für Burnout und Stressfolgeerkrankgungen ausgesetzt als andere Berufsgruppen, wobei der Umgang mit psychischen Errkrankungen innerhalb der Ärzteschaft immer noch von einem gesellschaftlichen Tabu besetzt ist. Dabei lässt sich ein Burnout an Hand des Symptomkomplex durch unterschiedlicher Kriterien und Modelle diagnostizieren. Das 12 Phasen Modell nach Herbert Freudenberger und Gail North gibt dabei einen Einblick in den prozesshaften Charakter dieser Stressfolgeerkrankung.
Die Stärkung der eigenen Stressresilienz und das Aneignen gesunder Lösungsstrategien im Umgang mit beruflichen Herausforderungen und Stressoren ist für den Erhalt der psychischen Gesundheit bei medizinischen Fachkräften ein wichtiges Mittel, um einer gesunden Work-Life-Balance näher zu kommen und sich vor einem Burnout-Syndrom zu schützen und/oder nach einer Burnout Erkrankung nachzusorgen. Betroffene, die sich bereits ernsthaft in einem Burnout befinden, benötigen professionelle Unterstützung durch eine ambulante Psychotherapie oder einem Aufenthalt in einer Fachklinik, die auf Stressfolgeerkrankungen spezialisiert ist.
Burnout-Hotline
Ärzte und Ärztinnen, die unter einem Burnout-Syndrom leiden oder sich davor schützen wollen, finden unter anderem Hilfe bei der Burnout-Hotline der Vereinigung Psychotherapeutisch tätiger Kassenärzte. Unter der Telefonnummer der VPK-Geschäftsstelle 0 89/ 58 92 99 30 oder per E-Mail an vpk@psychotherapie.org erhalten Betroffene Ärzte Unterstützung bei der Wahl passender medizinischer Unterstützung.