Warum der Lehrerberuf immer mehr Menschen zum Ausbrennen bringt
Expertise unseres Chefarztes Dr. Clemens Boehle und dem leitenden Psychologen Thomas Lieser, Gezeiten Haus Bonn
20.11.2023
LESEZEIT: 2 MINUTEN
KATEGORIE: MENTALE GESUNDHEIT, BURNOUT
Die Belastungen für Lehrkräfte haben in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Laut anerkannter Studien sind bereits 30 % von ihnen stark Burnout gefährdet. Ein Grund dafür ist sicher der tatsächliche Mangel an Lehrer:innen und die damit verbundene Überforderung der vorhandenen Lehrkräfte. Psychische Gesundheit wird immer noch zu wenig gefördert. Welche Rahmenbedingungen zusätzlichen eine Rolle spielen, wenn es darum geht, warum Lehrkräfte eine hochgradig gefährdete Berufsgruppe darstellen, erläutern wir mithilfe der Expertise eines unserer Chefärzte und einem leitenden Psychologen.
Warum sind Lehrer:innen besonders gefährdet?
Die meisten Lehrer:innen lieben ihren Beruf und trotzdem fühlen sich immer mehr von ihnen überfordert. Große Klassen, anspruchsvolle Eltern, häufige Mehrarbeit und wenig Erholungsphasen bestimmen den schulischen Alltag. Während der Pandemie sind mit Digitalunterricht, Lernrückständen, Personalausfall und Angst um die eigene Gesundheit noch zusätzliche Belastungen hinzugekommen. Dabei unterschätzen die Betroffenen oft, wie kräftezehrend ihre Arbeit ist. Die Folge ist eine permanente Verausgabung, auf die schließlich mit Rückzug und Resignation reagiert wird. Das ist der erste Schritt in Richtung eines Burnout-Syndroms, stellt Dr. Clemens Boehle, Chefarzt im Gezeiten Haus Bonn, fest.
Wie erkenne ich einen Burnout?
Typische Merkmale für diesen Risikozustand sind bleierne Müdigkeit, emotionale Erschöpfung und die fehlende Fähigkeit abzuschalten. Hinzu kommt das anhaltende Gefühl ausgelaugt zu sein, sodas die Leistungsfähigkeit sinkt und die Betroffenen unter Freudlosigkeit und Antriebslosigkeit leiden.
Natürlich machen die sich daraufhin entwickelnden Konzentrationsstörungen den Berufsalltag noch beschwerlicher. Nervöse Zustände und übermäßige Selbstzweifel sind die Folge und am Ende steht schließlich ein enormer Frust. Zu alldem macht sich die Belastung oft auch in körperlichen Symptomen bemerkbar. Diese reichen von Kopf- und Rückenschmerzen über Schlafstörungen bis hin zu Verdauungsproblemen, um nur einige Beispiele zu nennen.
„Dies alles sind Symptome, die nicht leichtfertig übergangen werden sollten“, warnt Clemens Boehle. „Werden die Anzeichen für einen Burnout nicht erkannt und behandelt, können sich daraus schwere psychische Folgeerkrankungen wie eine Depression, Angststörungen oder gar Suchterkrankungen entwickeln“, so der Experte und langjährige Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in unserer auf Depressionen und Stressfolgeerkrankungen spezialisierten Fachklinik in Bonn. Daher sollten Lehrkräfte besonders achtsam sein und psychische und physische Auffälligkeiten ernst nehmen.
Was führt zu einem Burnout bei Lehrer:innen?
Einfach ausgedrückt, so Clemens Boehle, ist der Auslöser für einen Burnout die mangelnde Fähigkeit der Stressbewältigung. Damit meinen wir: wie gut ist jemand in der Lage, sich vom Stress zu erholen, wie fähig ist er, seinen Arbeitstag zu organisieren und nicht zuletzt, wie schafft er es, mit zwischenmenschlichen Problemen umzugehen und Konflikte zu lösen. Das betrifft in diesem Fall vor allem den Umgang mit schwierigen Schüler:innen, fordernden Eltern und kritischen Kolleg:innen.
Hinzu komme bei Lehrtätigen häufig ein bestimmtes Persönlichkeitsbild, erklärt Clemens Boehle: Unter den Lehrer:innen gibt es viele Idealist:innen und Perfektionist:innen mit großer Motivation und hoher Anspruchserwartung an sich selbst. Wenn es ihnen nicht gelingt, die Realität der Berufswelt mit den eigenen Vorstellungen in Einklang zu bringen, kann das auf Dauer nicht nur ernüchternd, sondern auch psychisch sehr belastend sein.
Maßnahmen zur Burnout Prävention
Gerade für Lehrer:innen sei es wichtig, dem Burnout aktiv entgegenzuwirken. Lehrergesundheit ist ein wichtiges Präventionsthema. Burnout ist die individuelle Reaktion eines Menschen auf berufsbedingte, anhaltende Überforderungen und Konflikte. Diese zu hinterfragen und die eigenen Defizite zu identifizieren, hilft dabei, sinnvolle Wege aus der Stressfalle zu finden, unterstreicht Thomas Lieser. Der Psychotherapeut empfiehlt daher, sensibel auf alle Signale von Überlastung zu achten, um frühzeitig gegensteuern zu können. Geeignete Maßnahmen, die das Abschalten und die notwendige Erholung fördern, seien hier vor allem die Trennung von Arbeit und Privatleben. Dazu gibt er folgende Tipps:
- Schaffung eines separaten Arbeitszimmers, dass sich nach erledigter Arbeit schließen lässt
- Arbeitsmaterialien außerhalb des Schlafzimmers deponieren, um belastungsfrei schlafen zu können
- Nutzen von interkollegialer Beratung und Supervision, um schwierige Fälle gemeinsam zu besprechen
- Änderung der Perspektive mit Fokus auf positives Schüler:innenverhalten, um mehr Positives wahrzunehmen
- Suchen nach Gestaltungsspielräumen im Schulalltag, um das Gefühl von Kontrolle zu behalten
- Regelmäßige Erholungsphasen in den Unterricht einbauen, denn Schule stellt auch für Schüler:innen häufig einen starken sozialen Stressor dar. Gemeinsame Entspannungsübungen können Schüler:innen und Lehrer:innen helfen, Stress zu reduzieren
- Konfliktsituationen üben, um Belastungen durch Konflikte abzubauen und einen möglichst konstruktiven Umgang mit Auseinandersetzungen zu finden
- Mit dem eigenen Befinden ehrlich umgehen und eigene Grenzen akzeptieren
- Frühzeitig Hilfe suchen
All diese Dinge sind wichtige Faktoren, die zum Erhalt der psychischen Gesundheit beitragen.
Fehlende gesellschaftliche Anerkennung von Lehrer:innen-Burnout
In vielen Fällen wird es immer noch belächelt, wenn sich Lehrer:innen mit der Diagnose Burnout outen oder krankmelden. Die Gründe für die Stigmatisierung und die fehlende Anerkennung sind vielvältig:
- Mangelnde Sichtbarkeit: Lehrer:innen-Burnout spielt sich oft im Verborgenen ab. Die täglichen Herausforderungen und Stressoren, denen Lehrer:innen ausgesetzt sind, sind nicht immer offensichtlich. Da Lehrer:innen ihre Belastungen möglicherweise nicht immer öffentlich teilen, kann die Schwere des Problems für Außenstehende weniger erkennbar sein.
- Berufsbild der Lehrer:innen: Lehrer:innen gelten oft als starke und engagierte Persönlichkeiten, die sich um das Wohl ihrer Schüler:innen kümmern. Dieses Idealbild kann dazu führen, dass die Mühen und psychischen Belastungen unterschätzt oder übersehen werden.
- Fehlende Wertschätzung des Berufs: In einigen Gesellschaften wird der Beruf möglicherweise nicht ausreichend geschätzt oder anerkannt. Dies kann dazu führen, dass die emotionalen und psychischen Herausforderungen, die mit dem Beruf einhergehen, nicht angemessen gewürdigt werden.
- Mangelnde Sensibilisierung für mentale Gesundheit: In vielen Gesellschaften besteht immer noch ein Stigma um psychische Gesundheit. Lehrer:innen könnten zögern, über ihre eigenen psychischen Belastungen zu sprechen, aus Angst vor Stigmatisierung oder negativen Konsequenzen für ihre berufliche Laufbahn.
- Unterschätzung der beruflichen Belastungen: Außenstehende könnten die Vielfalt der Aufgaben, die Lehre:innen bewältigen müssen, unterschätzen. Der Druck durch Unterrichtsvorbereitung, Betreuung der Schüler:innen, Elternkontakte und administrative Aufgaben wird möglicherweise nicht in vollem Umfang erkannt.
Um Lehrer:innen-Burnout besser anzuerkennen, muss in der Gesellschaft, das Bewusstsein für die komplexen Herausforderungen im Lehrer:innenberuf geschärft werden. Es ist wichtig, Empathie zu fördern und eine offene Diskussion über mentale Gesundheit in Schulen und der Gesellschaft insgesamt zu ermöglichen. Dies könnte dazu beitragen, dass Lehrer:innen sich unterstützt und verstanden fühlen, wenn es um ihre eigenen psychischen Belastungen geht.
Fazit
Wenn sich Signale häufen, die zeigen, dass vieles im Alltag aus der Balance geraten ist, ein zurechtfinden schwer wird und immer häufiger das Gefühl aufkommt, ich kann nicht mehr, sollte professionelle Hilfe gesucht werden. „Viele Betroffene, die zu uns kommen, haben zu lange gewartet und bereits Folgeerkrankungen entwickelt“, so Thomas Lieser. Dabei sind die Chancen auf Genesung bei Burnout extrem gut, wie wir aus langjähriger Erfahrung mit unserem Therapiekonzept wissen. Werden seelische Belastungen früh erkannt und sinnvoll behandelt, steht einer Rückkehr ins Berufsleben nichts im Wege.