Aus dem Nähkästchen: Wir plaudern mit dem Gründerehepaar über die Entstehung der Gezeiten Häuser

Interview mit den Gründern Elke und Manfred Nelting

21.08.2023

LESEZEIT: 5 MINUTEN

KATEGORIE: INSIGHTS, UNTERNEHMEN

 

Im Jahr 2004 öffnete das erste Gezeiten Haus in Bonn als Klinik für Menschen in Lebenskrisen seine Türen. Heute verfügt die Gezeiten Haus Gruppe über Fachkliniken in Bonn, Wesseling bei Köln, Oberhausen und Wendgräben bei Magdeburg. Entwickelt wurde das Konzept gemeinsam von Elke und Manfred Nelting. Wir trafen sie zum Gespräch über das Entstehen der Gezeiten Haus-Idee.

 

Wie und wann ist die Idee für das Gezeiten Haus entstanden?

Manfred: Angefangen hat es im Jahr 2003. Damals wurde unsere Expertise angefragt, eine Immobilie in Bonn zu besichtigen, um ihre grundsätzliche Eignung als Klinik zu bewerten. Wir lebten seinerzeit im hessischen Bad Arolsen. Dort hatten wir 1992 die erste deutsche Tinnitus-Klinik gegründet, uns mittlerweile jedoch aus der Klinik verabschiedet. Schon bei der Besichtigung der Venner Straße in Bonn Bad Godesberg waren wir davon überzeugt, dass Standort und Lage für eine Klinik sehr gut geeignet seien. Unsere innere Stimme meinte aber auch: Wir machen das nicht!

Wir befanden wir uns damals in einer Orientierungsphase und wollten gerne etwas Neues machen, unsere Pläne waren aber noch nicht ausgereift. Die Gedanken kreisten und nach und nach reifte die Überlegung, dass es schon spannend sein könnte, in Bonn nochmalig neu zu starten, besonders vor dem Hintergrund der damaligen Gesundheitsdiskussion in Deutschland! Uns war wichtig, etwas Anderes und Neues in die Gesellschaft zu bringen und gleichzeitig unsere wertvollen Erfahrungen und gewonnenen Überzeugungen einfließen zu lassen. Schließlich haben wir ein unseren Vorstellungen entsprechendes Klinikkonzept verfasst. Es brauchte dann noch ein gutes Jahr an Planung und Vorlauf, bevor wir 2004 an den Start gegangen sind.

 

Welche Philosophie steht hinter dem Konzept?

Manfred: Meine Frau und ich sind aus zwei unterschiedlichen Richtungen gekommen. Während Elke immer schon mit der chinesischen Medizin und fernöstlichen Themen gearbeitet hatte, kam ich aus der Psychosomatik, habe aber einen chinesischen Familienhintergrund. Meine Großmutter und meine Mutter wurden in China geboren und haben lange dort gelebt, so dass uns das Land, sein Geist und Denken vertraut waren.

 

Elke: Ich war schon mit Meridianen beschäftigt, bevor ich Manfred kennenlernte. Vom beruflichen Werdegang her bin ich ausgebildete Krankenschwester, ich habe mich jedoch sehr früh bereits für Naturheilkunde und Homöopathie interessiert. Zudem habe ich eine Ausbildung zur Körperarbeit und eine Tuina-Ausbildung gemacht. Das ist der Teil, den ich in das Konzept eingebracht habe: eine Kombination aus Tai Chi, Qi Gong, Körperarbeit und Lebenspflege.

 

Manfred: Unsere Idee war es, Patient*innen darin zu unterstützen, ihre Ressourcen wieder zu aktivieren und ihre Potenziale gezielt einzusetzen. Wichtig dabei war die Brücke zwischen „westlicher Medizin“ (Psychosomatische Medizin) und „östlicher Medizin“ (Traditionelle Chinesische Medizin). Unser Konzept sah vor, dass Methoden aus beiden Richtungen in die Behandlung einfließen, angepasst an die individuellen Bedürfnisse der Patient*innen. Das war in dieser Form neu und darum besonders spannend.

 

Gab es auch einen gesellschaftlichen Anspruch an das Projekt?

Elke: Manfred hat sich immer als „politischer“ Arzt gesehen, ich hingegen wollte die Gesellschaft vom einzelnen Menschen her verändern. Nach dem Motto: Wenn Du einen Menschen erreichst, erreichst Du viele! So haben wir von Beginn an gesagt: Wenn wir das machen, dann zu gleichen Teilen.

 

Manfred: Unser Credo war, dass wir beide Systeme nicht additiv, sondern in Kombination miteinander machen wollten. Hinzu kam die Idee der Begegnungsmedizin, bei der es darum geht, dass alle Beteiligten zu einer Passung finden und einander auf Augenhöhe begegnen. Das kann sehr dynamisch sein und beinhaltet auch die Begegnung der Patient*innen mit sich selbst. Unser Therapieansatz verfolgt vor allem das Ziel, stets das Passende anzubieten, individuell und in der Beziehung. Dabei geht es auch darum, Zugänge zu schaffen.

Und schon damals stand die ganzheitliche Sicht der Dinge im Fokus. Es ging darum, zu zeigen, wie wichtig der Weg des Ankommens ist, um tatsächlich Gewohnheitsbrüche in neue Gewohnheiten überführen zu können.

 

Hättet Ihr euch damals vorstellen können, dass es heute eine Gezeiten Haus-Gruppe mit vier Kliniken gibt?

Manfred: Nein, absolut nicht. Zu wachsen war für uns damals überhaupt kein Thema. Wir haben die Venner Straße in Bonn damals auch deshalb genommen, weil dort nicht angebaut werden darf. Das war eine Art Selbstschutz, denn wir wollten das Projekt erst einmal kleinhalten, um zu schauen, ob es funktioniert.

 

Wenn wir nun einen Sprung in die Gegenwart machen...

Manfred: Die „Gegenwart“ beginnt für mich im Jahr 2013. Damals haben wir uns gefragt, wie lange wir das in dieser Form noch machen wollen. Unser Sohn Fritjof war damals bereit, einzusteigen und Verantwortung zu übernehmen. Kurze Zeit später wurden die Standorte in Oberhausen, Eichholz und Wendgräben an uns herangetragen. Die Erweiterungen haben sich am Ende auch ergeben, weil es immer Menschen gab, die auf uns mit dem Wunsch zukamen, „lass uns das doch gemeinsam angehen“.

Und dazu kam, dass wir die Notwendigkeit in der Gesellschaft und die Möglichkeit, tatsächlich zu agieren, gesehen haben. Außerdem spürten wir zunehmend, dass es in einer sich stark verändernden Gesundheits- und Kliniklandschaft als Einzelhaus schwierig werden würde, dauerhaft zu überleben.

 

Wie fühlt sich die Entwicklung für Euch heute an?

Manfred: Die Entwicklung der letzten Jahre ist ein langes Erlebnis, bei dem wir gelernt haben, wie sich die Dinge verändern. Sehr vieles ist neu, nehmen wir zum Beispiel die gesamte Kommunikation oder die Abstimmung zwischen den Kliniken. Wir mussten erst lernen, zurückzustehen, haben aber gesehen, dass viele gute Leute unsere Ursprungsideen weiterentwickeln. Letztlich haben wir versucht, den Prozess so gut wie möglich zu unterstützen. Aber natürlich gab es inhaltlich in vielen Bereichen eine Neuausrichtung.
Am Ende sind wir sehr stolz auf das Ergebnis und freuen uns oft darüber, dass wir für so vielen Menschen Orte der Begegnung schaffen konnten.

 

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