Mitgefühlsbasierte Psychotherapie: Fachtag im Gezeiten Haus

Am 03.06.2023 fand der jährliche Fachtag der Traumaklinik im Gezeiten Haus Schloss Eichholz statt.

Silke Gahleitner beim Fachtag
Silke Gahleitner ist seit 2022 auch Mitglied der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs

Mitgefühl als zentrales Element in der Therapie. In diesem Jahr war der jährliche Fachtag Prof. Dr. Luise Reddemann zur Ehren ihres 80. Geburtstags gewidmet.

Luise Reddemann ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin sowie Psychoanalytikerin und beschäftigt sich seit nunmehr rund 50 Jahren intensiv mit Trauma und Traumafolgestörungen. Sie zählt zu den maßgeblichen Pionierinnen der Traumatherapie in Deutschland und ist die wohl bekannteste Vertreterin ihres Fachs.

Nicht zuletzt als Entwicklerin der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie hat sie sich einen Namen gemacht. In dieser spielen das Mitgefühl und die würdevolle Arbeit mit Erkrankten eine zentrale Rolle; und so stand die Veranstaltung entsprechend unter dem Motto „Mitgefühlsbasierte Traumatherapie“. In den Beiträgen wurden diese beiden Aspekte in verschiedenen Kontexten aufgegriffen.

Die Verletzlichkeit des Menschen

Prof. Dr. Giovanni Maio, Philosoph und Internist, stellte in seinem hochinteressanten Vortrag das Menschenbild in den Fokus.Seine These: Wir Menschen sind alle verletzliche Wesen, von Geburt an.

Anhand von fünf Elementen erläuterte er seinen Begriff von „Verletztlichkeit“ und schlussfolgerte, dass die geteilte Verletzlichkeit quasi Grundbedingung für das Helfen, für die Heilberufe sei, und zwischen Therapeuen* und Patienten Mitgefühl schaffe. Sensibel zu sein für die Verletzlichkeit des Anderen, den anderen in seiner Verletzlichkeit sehen – das sei laut Maio ein Wesenskern der Psychotherapie.

 

Multiprofessionelle Versorgung bei Social Trauma – was wir voneinander lernen können

Im Anschluss an diesen einführenden Vortrag ging es mit Prof. Dr. Silke Gahleitner in die Praxis. Silke Gahleitner ist Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Sie stellte anhand konkreter Beispiele heraus, dass die Aufarbeitung von Traumatisierungen auf drei Ebenen erfolgen muss: individuell, institutionell und gesellschaftlich.

Fast das Wichtigste für Betroffenen sei die Anerkennung, an der es leider oft mangele. Gahleitner kritisierte den gesellschaftlichen Umgang mit traumatisierten Menschen in Deutchland und warb eindringlich für mehr Verständnis und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen Psychotherapie, Soziale Arbeit und Rechtspsychologie.

Psychotherapie als Beruf und Berufung: Krieg und Frieden

Prof. Dr. Klaus Ottomayer griff den Aspekt der Anerkennung in seinem Vortrag, der per Video zugeschaltet wurde, auf, und richtete seinen Fokus dabei auf Traumatisierungen durch Krieg und Flucht. 

„Flüchtlinge werden systematisch in ihrem Wunsch nach Anerkennung verletzt”, konstatierte der emeritierte Professor für Sozialpsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Anerkennung sei jedoch die Voraussetzung für ein “gedeihliches Leben”. Aufgabe der Therapeuten sei es, bei der (Wieder-) Gewinnung von Würde und Selbstachtung Beistand und Begleitung zu bieten und dabei spiele Empathie eine zentrale Rolle.

Frauenrechte im Spiegel von Krieg und Nachkriegsgesellschaft

Einen feministisch-politischen Blick auf das Thema Würde warf die Gynäkologin und Frauenrechtsaktivistin Dr. Monika Hauser in ihrem Vortrag. Sie hat die gemeinnützige Organisation medica mondiale e.V. gegründet, die weltweit traumatisierte Frauen unterstützt und sich gegen sexualisierte Gewalt einsetzt; Luise Reddemann ist dort Fachbeirätin.

In ihrer sehr eindrücklichen, leidenschaftlichen Rede zum Thema Frauenrechte wies sie unter anderem darauf hin, dass die Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten weltweit eingeschränkter werden, weshalb der Aspekt der Fürsorge, insbesondere der Selbstfürsorge, immer wichtiger werde. Hier kommt das Mitgefühl ins Spiel: Mitgefühl mit sich selbst sei wichtig – nach Luise Reddemann ist dies Voraussetzung für das Mitgefühl mit anderen.

Das Alter ist ein kostbares Geschenk - Gedanken über „Gutes Altern“

Nach einer Kaffeepause ging es dann heiterer und humorvoll weiter mit einem Vortrag von Susanne Altmeyer, die Chefärztin im Gezeiten Haus ist und sich Gedanken gemacht hat über das Altwerden. In ihrem Vortrag hat sie Wissenschaftliches zum Thema Alter verbunden mit Zitaten berühmter Persönlichkeiten zum Thema Alter, Musik und einem (auswendig) vorgetragenen Gedicht von Hilde Domin.

Zum Abschluss gab es ein ganz besonderes Geburtstagsständchen für die Jubilarin Luise Reddemann, für die Musik immer eine wichtige Rolle gespielt hat: Susanne Altmeyer hat die Gäste eingeladen, ein Summen anzustimmen – ein sehr berührender Moment, von dem es mehre an diesem Tag gab.

Susanne Altmeyers „Zutaten“ für „gutes Altern“: Kreativität, Gemeinschaft, Liebe & Freundschaft

Psychotraumatologie im Diskurs damaliger und heutiger Herausforderungen

Den Abschluss bildete ein Podiumsgespräch mit Luise Reddemann und Arne Hofmann, das moderiert wurde von Dr. Peter Liebermann, der beide Persönlichkeiten schon lange kennt. Es gab viele interessante, persönliche Einblicke in die Biographien der beiden Psychiater, deren Wege sich schon in den 1980er Jahren kreuzten. Sie nahmen die Zuhörer mit auf eine Zeitreise und erzählten über die Entwicklung der Psychotraumatologie in Deutschland, ihre zunehmende Akzeptanz, über die Etablierung neuer Disziplinen und Verfahren wie beispielsweise EMDR und ihre Unterschiedlichkeit.

Diese Vielfalt wurde von beiden als positiv bewertet. Am Ende gehe es um die individuelle Heilung des Einzelnen und da „führen viele Wege nach Rom“, schloss Luise Reddemann. Sie bedankte sich bei allen Beteiligten und zeigte sich glücklich über diesen gelungenen Tag, der fachlich und emotional viel geboten hat.

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